Züri Wests neue
CD: «Super8».
«Super8» beginnt mit einem Instrumentalstück. Ist die Band
sprachlos geworden, die seit 1984 so pointiert den Zeitgeist artikuliert?
Mitnichten. Nur weiss sie der Gegenwart wortlos beizukommen: mit
sinnlichem Kammer- Rock, der von Easy Listening bis Bossa Nova, von der
hallenden James-Bond- Gitarre bis zur perlenden Doors-Orgel kein Zitat auslässt,
mit cineastischer Dichte Stimmungen zeichnet so schummrig wie in einem brasilianischen
Softporno, so atmosphärisch wie in einem verrauchten Pub. Und dann
meldet er sich zu Wort: Kuno Lauener mag in einer Zeit, der nichts mehr
heilig ist, keine politisch korrekte Rolle mehr erfüllen, sondern er
singt frisch von der Leber weg über Sünde, Suff und Müssiggang.
Der Sänger pflegt einen erotischen Umgang mir der Sprache, gibt den
lustvollen Gambler, den charmanten Macho, alles leicht distanziert, alles
ironisch gebrochen. Bis die trügerische Leichtigkeit sich plötzlich
auflöst: in Depression und Einsamkeit. Und siehe da: Auch diesmal gelingt
Züri West ein aktuelles Sittengemälde: das Bild einer Gesellschaft,
deren Menschen vor lauter Individualismus vereinzelt, durch die Verlockungen
der Konsumwelt voneinander entfremdet sind. «Super8» ist nicht
nur süffig, sondern zeigt auch den bitteren Nachgeschmack der Trunkenheit
- die Platte entlarvt die hedonistische Ziellosigkeit der Neunzigerjahre.
Bänz FRIEDLI |
Züri West - Super 8
Angesichts der tausend Medienstimmen im Land glaube ich nicht, dass es
nun noch eines weiteren ,,eloquenten, sachlichen und kompetenten
Beitrags zur neuesten Züri-West Produktion bedarf. Ich wäre
im übrigen auch der falsche Mann für solches Unterfangen. Zuviele
Küchen in Berner Musikerwohnungen sind mir vertraut, als dass ich
unvoreingenommen bleiben könnte. Lass mich also gefühlsduselig
werden angesichts der Tatsache, dass ich meiner Heimatstadt vor elf jahren
den Rücken gekehrt habe, um an einem See zu leben. Meine Kollegen
von Z.W. bekomme ich nur mehr selten zu Gesicht. Im Moment wo ich diesen
Text in meine alte ,,Underwood reinhacke, ist es Ende Februar und
vor dem Fenster schmilzt der Jahrhundertschnee. Ich höre mir ,,Super
8 als Vorabkassette auf meinem antiquarischen Philips-Cassettenrecorder
an. Die Redaktion hat mir das CD-Booklet beigelegt. Als ich es aufklappe
und anschaue, hoffe ich einen irrigen Moment, die Aufnahmen würden
mono sein. Die Voraussetzungen dafür würden stimmen. Die Band
schöpft musikalisch die Crème der Musikstile der letzten Jahrzehnte
mit viel Feingefühl ab und mengt sie, mit Nostalgie angereichert,
unter die Kompositionen. So sorgen z.B. Wah-Wah-Gitarren und Örgeli
erstaunlicherweise für eine wage Authenzität, die es im Prinzip
gar nicht geben kann. Nix mono natürlich: majestätisch, gross
und modern kommt die Tontechnik-Leistung des Oli Bösch daher und
die erste Instrumentalnummer nimmt mich gleich mit an einen Wim Wenders-Rastplatz
entlang der Autobahn Richtung Süden. Tatsächlich ,,Mojito
latinisiert innerhalb weniger Sekunden mein Atelier und schwärmerisch
glaube ich im Refrain eine Anleihe zu einem zärtlichen Joe Dassin
zu hören (Etè Indien). Doch dann übernehmen langsam aber
gewaltig wieder die poetisch komprimierten Wahrheiten das Dichters Kuno
Lauener. Wer weiss, ob ,,Glücklech einmal mehr den Alptraum
der gesetzlich verbrieften Liebe skizziert, wie es in ähnlicher Form
auf vorangehenden Alben immer wieder zu hören war. Auf jeden Fall
tut es mir immer wieder gut, diesem Zynismus seiner Worte in stets wechselndem
Gewand neu zu begegnen. Die Heiratsrate boomt parallel zur Scheidungsziffer.
Leute, die ihr vor der Entscheidung steht, hört die Musik von Züri
West und ihr werdet geheilt. Geheilt vom Irrglauben der nie ersterbenden
Leidenschaft und der Illusion der ewigen Liebe. Ich lausche der Musik.
Blubbernd krabbelt der ,,Mischtchäfer durch mein Ohr. Aha,
der luzide laszive Galan ist im Anmarsch, lullt mich ein mit Triphop Meditationen.
Es geht um die Liebe. Vor allem Liebe, denn das durstige Herz des Dichters
trinkt von manchem Quell. Es labt sich bis zur Erschöpfung. Irgendwann
versiegt der Quell. Die Suche nach Wasser beginnt von vorn. Der alte Lebemann
machts vor: Udo L. wird zitiert, die philosophische Stütze
meiner Jugendjahre. ,,Glaubst Du denn, dass die Frau, mit der Du zusammen
bist, die einzig richtige Dame auf dieser Welt für Dich ist? Zufällig
war sie da".
Die weiblichen Fans werden dieses Lied nicht mögen. Ich
muss grinsen. Diese Schelme! Der Flügel klingt so seifig wie ein
Pianist in der Savoy-Bar, göttlich. Es ist unglaublich! Was auf dieser
Platte daherkommt sind Wahrheiten. ,,Nichts ist erregender als die Wahrheit
sagte einst der Reporter Egon Erwin Kisch über seine Arbeit. Die
Musik von Züri West erregt mich im höchsten Mass. Funky und
vibrierend. Ich fühle mich durch sie bestätigt. Gedanken an
junge Paare im Supermarkt, mit Einkaufswagen und nölenden Kleinkindern,
ihre Gesichter alt und grau vor Glück, erscheinen als Film vor meinem
geistigen Auge, und ich komme nicht umhin, selig vor mich hinzulächeln,
wissend...
Die hehren Ideale der Super8-Generation sind verwackelte Zeugnisse
einer einst ,,heilen Welt. Horror, sich vorzustellen, wie zerstrittene
Ehepaare in ihrem Reiheneinfamilienhaus versuchen, den Frieden zu retten,
indem sie zittrige Super-8 Filmchen der Flitterwochen 1964 in Rimini abspielen,
während ihre Sprösslinge maulend auf ,,sex-chain- saw-killers
auf RTL warten. Züri West, allen voran der Dichter Kuno Lauener,
machen dies einmal mehr mit subversiver Eindringlichkeit hör- und
sichtbar. Dass man dazu auch noch wunderbar tanzen kann, erhöht nur
noch die Wollust.
Dänu Boemle
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